Frivole Schieflage

Im Krystallpalast Varieté feiert „Pigalle – Eine Varieté-Revue“ Premiere. Es ist eine glamouröse Liebeserklärung (…). „Pigalle“ ist sozusagen durchgegendert. Hier ziehen nicht Frauen blank vor Männern, denen bei der Fleischbeschau der Zahn tropft. Hier ist buchstäblich für alle was dabei.

(…) Emmy und Johnny zeigen großes Akrobatik-Kino: kraftvoll und beherrscht, augenzwinkernd und perfekt im Timing, sexy und aufregend, witzig und atemberaubend. Das beschreibt die ganze neue Show ziemlich gut, in der Tanz eine größere Rolle spielt als meist auf dieser großen Kleinkunstbühne. Für den zeichnet als Choreographin der Show Julia Jones verantwortlich, die auch als Luftakrobatin beeindruckt.

(…) wo sonst im Krystallpalast bei jeder Show alle überall mit anpacken müssen, müssen nun alle mittanzen. Der verstörend gelenkige Niklas Bothe etwa, der seine Kontorsionsfähigkeiten gern in luftiger Höhe auslebt, sensationell schöne Hula-Hoop-Artistik betreibt, aber auch für jede Albernheit zu haben ist, und darum auch als Huhn seinen Mann steht. Auch David Eriksson greift den Kolleginnen und Kollegen immer wieder gern unter die Arme – oder anderswohin. Dabei ist der gewaltige Schwede so etwas wie der schrille Star dieser schrillen Show. Sein weitgehend wortloser Witz ist anarchisch, absurd, grell und nicht an-, sondern eher auszüglich.  

(…) Dieser virtuose Clown jenseits aller überflüssigen Normen, ist ein brüllend komisches Naturereignis. Nicht zuletzt ihm ist es zu verdanken, dass recht bald alle im selbstredend ausverkauften Saal verstehen, dass nur weil etwas nicht stimmt, alles stimmt in „Pigalle“. Denn Urs Jäckle hat seiner ästhetischen Schieflage der Erotik auf der Bühne die Unschuld zurückgegeben. Folglich steigert sich das zunächst verhaltene, dann staunende Glucksen im Saal angesichts schöner Körper, eindrucksvoller Akrobatik und einschlägigen Humors bis zur rückhaltlosen Begeisterung.

Peter Korfmacher, Leipziger Volkszeitung, 03.11.2023