Und auf der Bühne machen die Akrobaten sich schon mal warm. Laufen, Radfahren, Streetball, Moves, Posen, Jojo – sportives Abhängen sozusagen. Was man halt so macht mit seiner vielen Freizeit im urbanen Raum. Die Akteure nennen es „Freestyle“ – und weil sie es dabei zu bisweilen atemberaubender Perfektion gebracht haben, widmet der Krystallpalast unter ebendiesem Namen der neuen Akrobatik von der Straße ihre neue Show.
Mit der versucht Jaeckle die Quadratur des Kreises: Einerseits soll „Freestyle“ dem Varieté im Allgemeinen und dem Krystallpalast im Speziellen ein neues, vulgo jüngeres Publikum zuführen. Andererseits darf es aber auch das Stammpublikum nicht verschrecken, soll hier nicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet werden. Aber Jäckle macht seine Sache ziemlich gut. Denn er hält erstens den Sound, mit dem er die Show unterlegt, verträglich und schenkt zweitens seinen Gästen ein paar Nummern, die nicht gar so sehr mit liebgewonnenen Varieté-Sehgewohnheiten brechen. (…)
Der Rest der dicht gestrickten Show ist in der Tat ziemlich anders: Da wirbeln die Sensations-Breakdancer der deutschen Topp Doggz Crew über den Boden, durch die Luft, über- und untereinander, dass es der Schwerkraft wie der Anatomie Hohn spricht.
(…) Wasili Urbach schließlich hat aus seinen Breakdance-Fertigkeiten heraus an der Grenze zur Pantomime eine wunderbar stille und poetische Nummer als menschliche Marionette entwickelt und Sebastian Stamm eine sehr körperbetonte Akrobatik am chinesischen Mast, die das Publikum kollektiv den Atem anhalten lässt. Schiere Kraft und die herbe Anmut seiner Choreographie verschmelzen da zu einer neuen Ästhetik des Staunens – der akrobatische Höhepunkt dieser sehenswerten Show.
Dennoch wäre die nur halb so kurzweilig ohne den Kanadier Maxim Poulin. Die Geschichte, die dieser etwas andere Clown erzählt, gibt dem Abend den roten Faden: Da wächst der Underdog zum Star heran, weil er sich und der Straße auf dem Zirkus- Fahrrad große Klasse beweist (tatsächlich), weil er ein großer Stripper ist (eher nicht) und toll zaubert (nein). Diesen Plot entwickelt er weitgehend wortlos in Miniatur-Szenen, bei denen ihm Pippa the Ripper hilft, die als Luder mit Zwergspitz eher noch besser ist als in den Reifen. Maxim Poulin muss nicht viel machen, damit die Leute sich vor Lachen biegen. Es reicht, wenn er eine Augenbraue hochzieht oder sich das Haar richtet, wenn er sein „Tattoo“-Tattoo auf der Brust blitzen lässt unterm Federboa-Porno-Fummel oder ungelenk lässig die Hand zum Gruße kreiselt. Leise ist diese Komik und doch derb, subversiv und doch poetisch, mit sicherem Gespür ausbalanciert zwischen Gürtellinie und Grasnarbe.
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Peter Korfmacher, Leipziger Volkszeitung, 09. März 2018
(...) Gänsehaut pur! Sebastian Stamm ist nicht nur Breakdancer, sondern auch deutscher Meister im Pole Dance aka der Chinesische Mast. Mit offenen Mündern wurden wir Zeugen eines entgegen die Gravitation arbeitenden Wahnsinns, den wir so noch nie zuvor gesehen haben. Eine Kunst, bei der Muskelkraft präzise gebündelt werden muss, um waghalsig zu einer menschlichen Flagge zu mutieren. Wasili Urbach ist ebenfalls ein Meister der Körperbeherrschung. Als menschliche Marionette ist er eine tanzende Wucht der Verblüffung, bei der man kurzzeitig irgendwo in der Surrealität verloren geht. Wow!
Alles in allem ist die neue Show einfach bombastisch und eine gelungene Abwechslung zum klassischen Varietéprogramm. Absolute Empfehlung, auch für Varieté-Muffel!
Marcella Bader-Blukott, urbanite Stadtmagazin, April 2018